Mittwoch, Dezember 22, 2004

Normalerweise bin ich nicht der Typ, der ein Buch nicht zu Ende liest, aber ____ von ____ musste ich einfach abbrechen. (Bitte Lücken ausfüllen.)

Wer hat diesen Satz in dieser oder ähnlicher Form nicht schon gehört? Er kritisiert nicht zwangsläufig ein Buch, er eignet sich nebenbei dazu, den Sprecher als gründlichen Literaten herauszustellen. Oh, aber ich werde wieder negativ und muss mich hüten, das weiter auszuführen, außerdem schweife ich ab.

Ich wollte diesen Satz nämlich anwenden, in Bezug auf "Schlange im Paradies" von der Autorin Dea Birkett. Das Buch habe ich in diesem Eintrag erwähnt, damals hatte ich es allerdings nicht gelesen gehabt, nun aber zumindest zu einem Viertel - bevor ich es gestern der UB zurückgab. Ich will nicht Trittbrettfahrer sein und noch eine vernichtende Kritik ("This woman should stay at home!") schreiben, doch ich kann nicht anders. Offenbar hat sich die Autorin keine Gedanken gemacht, dass sie mit dem Reisebericht die wenigen Inselbewohner von Pitcairn denunziert, die alle durch das Netz identifizierbar sind, manche sogar mit Foto. Dazu gesellen sich sexuell-neurotische Gedankengänge, die bereits vor Antritt der Schiffsreise beginnen und den Leser immer wieder anstrengen: Der will mit mir ins Bett, jener redet immer nur von sexuellen Stellungen, die interessiert doch nur das eine, blah. Bis zu diesem Teil, in dem sie sich eine Affäre mit einem verheirateten Insulaner leistet, bin ich nicht vorgedrungen. Das Buch sei jedem ans Herz gelegt, der ein Fan von Dea Birkett ist.

Sonntag, Dezember 19, 2004

Bittere Pille

Schluss mit den Lästerorgien, diese Welt hat schon genug Hass. Sie braucht Liebe, nette Dinge, Reggae. Ja, und vielleicht doch noch einen Misanthropen-Eintrag, die Blogs immer mehr in unerträgliche Internet-Meckerkästen verwandeln.

Ist es die unwirtliche Jahreszeit? Oder ist es der vorweihnachtliche Stress? Oder bin ich es einfach, der griesgrämige Eigentümer eines schlechten Karmas? Auch letzteres schreckt mich nicht ab, noch einen lamentierenden Eintrag zum Besten zu geben, in der Hoffnung, dass die rare Spezies der akatsuki-Leser trotzdem nicht an frohsinnigere Blogs verloren geht.

In der heutigen Sendung, liebe Kinder, erklärt euch der Onkel, warum die Erwachsenen auf der Haupteinkaufsmeile von Frankfurt am letzten Samstag vor Weihnachten diesen verbissenen Gesichtsausdruck zu Tage legen, um sich in den kirchlich legitimierten, staatlich geförderten, vom Einzelhandel bejubelten Konsumrausch zu stürzen. Ihr habt sie vielleicht auch schon gesehen, diese vielen Leute, und euch gefragt, warum sie so aussehen, als ob ihnen jeden Moment der Kragen platzt, und es mit der Angst zu tun gekriegt? Oder ein gernervtes Stöhnen gehört, wenn eure Eltern den Kinderwagen versehentlich vor den unsichtbaren Laufweg eines anderen Menschen geschoben haben? Nun, liebe Kinder, in Wirklichkeit beschränkt sich dieser Gesichtsausdruck der Menschen nicht auf die vorweihnachtlichen Einkaufsmarathons, sondern man kann sie das ganze Jahr über vorfinden. Betroffen sind vor allem Siedlungen, die einen Anspruch auf Internationalität hegen, deren Bewohner aber noch einige Generationen davon entfernt sind, sich von der Provinzialität zu lösen. Die schlechte Laune der Erwachsenen rührt aus dem Missverständnis, Individualität mit Durchsetzungskraft gleichzusetzen: Für viele ist es nämlich etwas Gutes, wenn man selbst genau das macht, was man machen will, ohne sich von anderen davon abbringen zu lassen. Und das bedeutet beim Einkaufen? Ja, ihr ahnt es bereits: Jeder sagt sich, dass er genau so laufen will, wie er will, auch wenn Zehntausende anderer Menschen sich auf wenigen Quadratkilometern tümmeln - und bloß niemandem Platz machen oder die Tür aufhalten. Und weil das ja gar nicht so einfach ist, müssen die Menschen kämpfen, hence der verbissene Gesichtsausdruck. Warum der Onkel so genau bescheid weiß? Eine gute Frage. Der Onkel kann in die Menschen hineinblicken, und er kann ihre Gefühle nachempfinden. Ja, der Onkel ist ein zynisches Arschloch, aber er gelobt, dass sein nächster Eintrag wieder etwas weniger bitter ist. Also, nicht weinen, Kinder, wir müssen noch die vierte Kerze anzünden.

Freitag, Dezember 10, 2004

Oxygen Thieves

Egozentrik und Penetranz sind meine Lieblingsallergien, was den Charakter bei anderen Menschen angeht. Leider kommt die Kombination nicht selten vor, zumindest drangen bereits zahlreiche Eigentümer dieser Eigenschaften, mal mehr oder minder ausgeprägt, in mein Leben, bevor sie es glücklicherweise wieder verließen. Einem besonders ausgeprägten Fall begegnete ich in der fülligen Körperform meines ehemaligen Arbeitgebers, bei dem sich - ganz fatal - noch Wesenszüge hinzugesellten, die man sich nicht einmal dem ärgsten Feind wünscht: Kleingeistigkeit, Kultur- und Bildungslosigkeit. Das erste Gespräch mit ihm war so befremdlich, dass ich nicht begriff, ob dieser Mensch eine Art lebende Persiflage ist. Heute weiß ich natürlich, dass Selbstironie diesem Mann fremd ist (Wer lacht schon über Witze, die andere machen?), schließlich war er einer der Hauptfaktoren für meine Kündigung, aber vor über vier Jahren fand ich ihn extrem exotisch - so etwas hatte ich in meinen bis dahin knapp 30 Jahren Leben nicht erlebt: Der Mann schwallte einen stundenlang zu, ohne etwas zu sagen, sich immerzu wiederholend und im Kreis drehend. Einfach nur darauf plädierend, dass ich die Geduld aufbringen muss. Nicht Interesse, nur Geduld. Fast schon beeindruckend, wenn man nicht jeden Tag mit ihm zu tun gehabt hätte. Welch Zeitverschwendung. Und erst der Sauersttoff.

Mittwoch, Dezember 08, 2004

Vom Altern auf Rockkonzerten

Richtig alt fühlt man sich, wenn man das zweite Mal nach 17 Jahren - bei mir fast genau die Hälfte meines Lebens - auf ein Konzert von Bryan Adams geht, dieses Mal mit der Ehefrau, das Publikum größtenteils nun aus grölenden Frauen in den Dreißigern aufwärts besteht, plus ihren schnauzbart-, sonst aber nachlassende-kopfbehaarung-tragenden Begleitern - und das Ereignis einen seiner Höhepunkte mit dem Song "18 til I Die" erlebt. Geschickt allerdings, wie ältere Songs untergebracht wurden, ohne dass der Eindruck aufkam, der Herr müsste - à la David Bowie - nun seine Evergreens zum Besten geben, um die Jugenderinnerungen der Konzertgänger wachzurufen. Kann es jedoch sein, dass die Mehrheit aus Menschen bestand, die zwar derselben Generation wie ich entstammen, ihren musikalischen Frühling aber erst ab der Robin Hood-Schnulze "(Everything I Do I Do It) For You" erlebten (oder war ich etwa 5, 6 Jahre älter als der Durchschnitt?). Um so älter habe ich mich also gefühlt, wünschte ich mir eigentlich genau ein solches Bryan Adams-Wunschkonzert, bei dem "Summer of '69", "Heaven", "Run to you", "Cuts like a Knife" und Co. nicht von neueren Hits unterbrochen werden - und erhoffte mir heimlich einen Überraschungsauftritt von Tina Turner bei "It's only Love". Anyway, Spaß hat es trotzdem gemacht.

Donnerstag, Dezember 02, 2004

Fiktive Party-Bekanntschaften

Wir waren froh, dass wir einen Babysitter für diesen Abend gefunden haben. Schließlich kommen wir nicht oft unter Menschen, und die Einladung zu dieser Party kam uns gelegen. Ich genoss die laute Musik, die großzügig starken Cocktails, die vielen fröhlichen Menschen. Während sich meine Frau mit einer Freundin unterhielt, lehnte ich mich zurück, mit dem Rücken an die Bar und ließ alles auf mich wirken.
"Das ist Ihre letzte Party.", sagte der Fremde.
"Wie bitte?", fragte ich erstaunt.
Er ließ seinen Blick über die anderen Partygäste schweifen: "Nun, Ihnen ist doch sicher aufgefallen, dass Sie, wie die anderen in diesem Raum, Anfang bis Mitte Dreißig sind."
Ich sah mir die ausgelassen feiernden Leute an. "Ja, das mag sein. Ich habe nicht darüber nachgedacht... aber jetzt, da Sie es erwähnen... "
Der Fremde wandte sich wieder mir zu, Mir fiel auf, dass er selbst ein paar Jahre über dem Altersschnitt lag. Er schob seine Hornbrille auf dem Nasenrücken hoch: "Ja, verstehen Sie denn nicht? Das ist Ihre letzte Party! Genau wie für die anderen Anwesenden."
Langsam wurde mir dieser Mann etwas unheimlich. Was hatte er vor? Hatte er im Raum einen Sprengsatz deponiert? Oder war er ein Verschwörungstheoretiker? "... und wie kommen Sie auf diesen Gedanken?"
"Ha! Ich glaube, Sie wissen, was ich meine. Ich habe schon genug geredet.", entgegnete er höhnisch. Seine Stimme klang dabei so, als ob er einen uralten Trick durchschaut hätte. Ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen, ging er weiter, zu einem anderen Partygast.
Später fragte ich den Gastgeber, wer denn dieser merkwürdige Herr sei? Er sagte, er kenne ihn nicht, vielleicht hat ihn ein Bekannter mitgebracht. Sein erster Satz ließ mich nicht in Ruhe. Sollte er Recht behalten? Meine Frau scherzte, als ich ihr das erzählte: "Vielleicht fand er die Party so schlecht, dass er uns alle den gesellschaftlichen Tod prophezeite?" Vielleicht war es das, dachte ich, und vielleicht verbarg sich hinter der akademischen Hornbrille ein Szenenguru, der über das Nachtleben in dieser Stadt berichtet.
Auf der nächsten Party begegnete ich ihm wieder.
Ich war fast ein bisschen erleichtert und sprach ihn an: "Na, wie geht es Ihnen!?"
Der Fremde schien mich aber nicht mehr wiederzuerkennen. Er schob sich seine Hornbrille an seinem Nasenrücken hoch: "Das hier ist Ihre letzte Party."