Dienstag, März 22, 2005

Filme, nachgeholt auf Flügen, Teil 2: Glauben Sie an Reinkarnation?

Anna: You know I loved Sean so much, and its been so long that I still can't get him out of my system. This is going to sound a little strange but I've met someone, who seems to be Sean.

(aus: www.imdb.com)

Eine der stärksten, zugleich ungewöhnlichsten Szenen des Hollywood-Kinos der letzten Jahre durfte ich in "Birth" bewundern. Nicole Kidman alias Anna, eine seit zehn Jahren verwitwete Frau aus einer wohlhabenden Familie, steht davor, Joseph (Danny Huston), einen erfolgreichen Geschäftsmann, der sie schon sehr lange verehrt, zu heiraten. Doch bevor es soweit ist, tritt Sean, ein zehnjähriger Junge, in ihr Leben - er behauptet, Sean zu sein, der verstorbene Ehemann von Anna. Der Junge beweist nun nicht wissenschaftlich, dass er der geliebte Sean ist, indem er Fakten und Details ausplaudert, die nur er wissen kann, er scheint nur Dinge zu wissen, die auch vermutet oder herausgefunden werden könnten: An dem Schreibtisch habe er früher gearbeitet, Annas Mutter (Lauren Bacall) identifiziert er als die Person, die Annas Glauben an den Weihnachtsmann beendete, und er weiß, wo Sean's Leben vor zehn Jahren endete. Aber er hält unerschütterlich daran fest, dass er sie liebe, und dass es falsch sei, Joseph zu heiraten.

Anfänglich begegnet Anna dem Jungen mit Skepsis, sie hält seine Behauptung für einen geschmacklosen Scherz, hat sie doch zehn Jahre gebraucht, um sich von ihrer Liebe zu Sean zu lösen. Doch die Hartknäckigkeit des Jungen wirkt sich allmählich aus - ist er vielleicht tatsächlich die Wiedergeburt von Sean? In einer Szene fängt Regisseur Jonathan Glazer die Entwicklung von Annas Gefühlsleben eindrucksvoll ein: Zusammen mit ihrem Verlobten trifft sie nach einem verstörenden Treffen mit dem Jungen verspätet in einem Konzertsaal ein. Zusammen arbeiten sie sich bis zu ihren Sitzplätzen vor, bevor die Kamera sich auf sie richtet, weg vom Verlobten. In dieser ungeschnittenen, über einer Minute dauernden Szene wird Anna mitten im Publikum von der Außenwelt abgeschnitten, die Kamera lässt sie allein mit ihrem inneren Konflikt.

Soviel ruhige Bilder, das mögen manche nicht ertragen, aber wer sich auf die mysteriöse, aber trotz des Themas nicht metaphysische "Birth" einlässt, den wird der Film einige Zeit nicht aus dem Kopf gehen. Und recht hat auch die Filmkritik im Guardian, wenn sie über die schauspielerischen Qualitäten von Nicole Kidman urteilt: "Glazer gets something right about working with Nicole Kidman that Kubrick didn't quite - that she is at her absolute best when playing a very serious role, such as the ramrod-straight mother in Alejandro Amenábar's ghost story The Others. When she relaxes, or even worse, when she tries to play comedy, her face suddenly crinkles into a sort of downmarket witchiness."

Donnerstag, März 17, 2005

Filme, nachgeholt auf Flügen, Teil 1

Langstreckenflüge sind anstrengend, und lieber würde ich bei einem Flug nach Japan in Sibirien oder am Ural zwischenlanden und eine Nacht verbringen, um mir die Beine zu vertreten und einen Borschtsch in der Tundra zu schlürfen, vielleicht den Jetlag graduell entschärfen als mit der Hammermethode völlig übermüdet wieder vor den grünen, schnurrbarttragenden Männchen der Zollbehörde zu stehen, und in das triste Grau der Frankfurter S- und U-Bahn-Welt entlassen zu werden. (Kommt es mir nur so vor, oder ist Deutschland in seiner marktwirtschaftlichen Orientierung besonders unbunt ausgeprägt? Das ist ein Thema für einen anderen Eintrag... ) Etwas entschädigt das Unterhaltungsprogramm während des Flugs auf dem Minibildschirm: Von der recht aktuellen Auswahl auf dem Hinflug den Shyamalan-Film "The Village" und Reinkarnation-Suspense-Film "Birth", auf dem Rückflug Horror-Remake-Blockbuster "The Grudge", die luftig-leichte Juwelendieb-Komödie "After the Sunset" und "Undertow". Vom zweiten Bridget Jones-Film, den ich gar nicht so schlecht fand, sowie vom seelenlosen Pixar-Spektakel "Die Unglaublichen" habe ich jeweils die letzte halbe Stunde mitbekommen - file under gesehene Filme.

Glücklicherweise hat mich der letzte Film auf dem Rückflug am meisten beeindruckt. Mit einer Schock-Einleitung beginnt David Grodon Greens "Undertow", bevor er ein bedrückendes Stimmungsbild einer mutterlosen, isolierten Familie auf dem Land in Georgia zeichnet, ein stiller, unnahbarer Vater, John, der nie ganz bei der Sache scheint, (den Tod seiner Frau nie überwunden hat) und seine beiden Söhne, der ältere, rebellische und von dem Erwachsenwerden leicht überforderte Chris und Tim, der Bücher nach Geruch sortiert und ab und an in den Farbeimer greift, um davon zu kosten, sind die Protagonisten, die sich ohne eine Mutter, ohne eine weibliche Note in ihren Leben, durch den Alltag schlagen. Eine willkommene Abwechslung scheint der draufgängerische Deel zu bieten, der Bruder des Vaters, der das Dreigespann aufsucht, nachdem er aus dem Gefängnis entlassen wurde. John bittet ihn, auf die Kinder aufzupassen, während er in die Stadt fährt, und man ahnt bereits, dass dies das Ende der wenn auch deprimierenden Idylle bedeuten würde - sie wird abgelöst durch die Katastrophe. Deel erzäht Chris: ""I knew your mom first -- she was my girl".

David Gordon Green beginnt nun, seinen als "Southern Gothic" bezeichneten Stil richtig zu entfalten. Eine traumwandlerische Mischung aus Szenerien, die nie ganz real wirken, und aus poetischen Dialogen, die immer Raum für Interpretation offen lassen, bestimmt nun das Geschehen auf der Leinwand. Erinnerungen an "Die Nacht des Jägers" werden wachgerufen, der Eindruck eines albtraumhaften, gewaltsamen Märchens. Kein Mainstream-Kino, viel zu schade für Mainstream.

Montag, März 07, 2005

Paranoid Android

Henry Hill: "For us to live any other way was nuts. Uh, to us, those goody-good people who worked shitty jobs for bum paychecks and took the subway to work every day, and worried about their bills, were dead. I mean they were suckers. They had no balls. If we wanted something we just took it. If anyone complained twice they got hit so bad, believe me, they never complained again."
Ich liebe es, Bus zu fahren. Ich liebe es, wenn Frauen mittleren Alters sich durch die Tür drängeln, bevor man selbst mit Kinderwagen rauskommt. Ich liebe es, wie diese Frauen aussehen, wenn sie die Erinnerung daran, dass sie sich vorher reingedrängelt haben, bevor die anderen den Bus verlassen können, um sich einen Platz zu sichern, zu löschen versuchen. Und wie sie den Anschein erwecken wollen, dass sie jemanden einfach übersehen haben können. Ich würde gerne ein Interview mit dieser Person führen:
"Guten Tag, wir von akatsuki interessieren uns, was in Ihnen vorgeht."
"Erinnern Sie sich an jemanden mit Kinderwagen, der an der Bushaltestelle aussteigen wollte, an der sie einstiegen?"
"Wie fühlen Sie sich eigentlich?"
Naja, egal. Es fängt schon wieder an, verbittert zu klingen.
Etwas lustiges. Heute morgen beim Kinderarzt gewesen. Eine Mutter, die rein optisch wie die typische Sparkassenangestellte auf mich wirkte, war ziemlich angestrengt von dem umtriebigen Verhalten ihrer wohl zweijährigen Tochter im Wartezimmer. Immer wieder rief sie den Namen ihrer Tochter: "Cheyenne!" - eine willkommene Abwechslung im Meer aller Jennifers und Lukasse.
Meine Lieblings-Paranoia-Szene der Filmgeschichte stammt aus "Goodfellas" von Scorsese: Ray Liotta als zugekokster Mafia-Karierrist fährt panisch in seinem Auto in der Nachbarschaft umher, verfolgt von einem Hubschrauber, immer wieder durch die Frontscheibe nach oben sehend, der Zuschauer darf ahnen, dass die Polizei ihn dieses Mal doch wirklich schnappt. Der glorreiche Zenith der opulent fotografierten Gewalt- und Drogen-Karierre ist längst überschritten, schon längst bestimmen hektisch geschnittene und verwackelte Bilder das Geschehen auf der Leinwand. Die 70er-Stones-Musik und das Geräusch des Hubschraubers werden immer lauter, alles scheint sich zu bewegen - und die goldene Ära in Hill's Leben endet im paranoiden Chaos.