Fiktive Partybekanntschaften, 2. Teil
Es sind jedoch einige Jahre vergangen, seit ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Neulich erst habe ich mich mit meiner Frau über diesen Mann unterhalten und mich gefragt, was denn aus ihm wohl geworden sei. Mir ist dann erst bewusst geworden, dass ich wirklich gar nichts über ihn wusste. Nicht einmal seinen Namen. Irgendwie fand ich das traurig, denn obwohl die Gespräche etwas eigenartig Autistisches hatten, war ein kleines Ritual entstanden, wobei ich mir nie wirklich sicher war, ob er nicht doch mit mir seine Spielchen trieb und nicht umgekehrt.
Wie dem auch sei, nun steht er da, zehn Meter entfernt, mittendrin im Geschehen. Die Musik ist laut an diesem Abend, die Party im vollen Gange. Ich nehme mir vor, dieses Mal strategisch vorzugehen, um ihn nicht wieder an seine "letzte Party"-Routine zu verlieren. Ich tippe meine Frau an, die gerade mit ihren Freundinnen laut lacht, und unterrichte sie von meiner Entdeckung. Ich nehme mir ein Glas des köstlichen Getränks von dem Tablett des mürrischen Kellners, ein Praktikant im Betrieb des Gastgebers, und wühle mich durch die Menge.
Mir wird bewusst, dass sich zahlreiche Gäste um den Mann mit dem Vollbart herum versammelt haben. Ich höre nun seine Stimme, ohne zu verstehen, was er erzählt. Allerdings hat sie nicht mehr diesen paranoiden Klang, wie ich sie in Erinnerung habe. Es hat etwas Automatisches, etwas Künstliches, als ob er programmiert ist, in einem steten, monotonen Fluss zu reden. Ganz in der Nähe angekommen, bemerke ich nun weitere Unnatürlichkeiten. Jeder seiner Zuhörer scheint immer wieder auf dieselbe Art auf das Erzählte zu reagieren. Ein Mann in einem biederen Pulli wiederholt regelmäßig die letzten Worte eines längeren Abschnitts, um sich dann kichernd zusammenzukrümmen. Eine Frau im mittleren Alter, nach den unauffälligen Farben ihrer Kleidung zu urteilen eine Bibliothekarin, wiederholt immer wieder, dass sie genau dieselben Erfahrungen gemacht habe. Ein besserwisserischer Akademiker stimmt immer zu, um dann auf auf einen anderen Aspekt hinzuweisen, ohne jemals das Gespräch an sich zu reißen. Ein paar andere lauschen einfach bedächtig, und sehen ab und zu unsicher in die Runde, sie sind die Statisten in dieser Runde.
Ich stehe nun dicht beim inneren Kreis der Zuhörer, und beginne, einzelne Worte zu verstehen. Es ist nichts Weltbewegendes, was er erzählt, es ist sogar extrem langweilig. Trotzdem lausche ich, wie die anderen Zuhörer, gebannt auf die Erzählung. Er scheint Schriftsteller zu sein, und er schreibt darüber, dass er keine Ideen hat. Er zitiert ein frühes eigenes Gedicht. Er macht eine Ausführung über das komplexe U-Bahn-System, über das, so erweckt er den Eindruck, nur er und niemand anderes bescheid wisse. In mir breitet sich Wut aus. Warum dreht sich bei ihm alles um sich? Und weshalb gibt es Menschen, die so wenig Ironie in ihre Worte legen wie er? Dieser Mensch öffnet sich so wenig, dass sein Wesen sich doch dadurch darlegt. Und es scheint alles so vorhersehbar. Mir wird klar, dass er neue Dinge erzählt, die Erzählstruktur und gewisse Phrasen aber immer wiederkehren. Genauso wie die Reaktionen der Zuhörer sich laufend wiederholen. Es ist einfach todlangweilig, aber so... sicher. So sicher wie die Sonne aufgeht. Eine Geborgenheit darin, genau zu wissen, was als nächstes passiert. Als ob ich ein Schauspieler bin, und jede Saison im selben Stück den selben Part übernehme. Auch wenn ich nur ein Statist bin.
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