Freitag, April 29, 2005

Torquay

Howard Jones' "New Song" als täglicher Weckruf, Corn Flakes zum Frühstück und Red Beans in allen Variationen zum Mittagstisch, drei Wochen lang. Der 13-Jährige erkennt aber auch zum ersten Mal auch Risse in der Fassade: Ich war untergebracht in einer Arbeiterfamilie, deren Name ich nicht mehr weiß, mit zwei Söhnen, deren Namen ich nicht mehr weiß. Der Vater war nicht der leibliche Vater, arbeitslos oder gelegentlich als Trucker unterwegs, und soweit ich mich erinnern kann, nicht gerade ein Mensch, der bei Konflikten im Haus zimperlich war. Die Mutter eine liebenswerte, sehr schöne Frau, die mit Ende 30? leicht vom Leben gezeichnet wirkte. Im Fernsehen dauernd Nachrichten über Streiks in den Kohleregionen des Thatcher-Landes.

Unbedarft wie ich war, bedeutete für mich die große Verheißung die Spielhölle in der Nähe des Piers, in der ich einige Pfund in Spiele wie "Centipede" oder "Tron" investierte, oder das Kino, in dem "Indiana Jones und der Tempel des Todes" lief. Mit welcher Spannung ich auf die Szene wartete, in der einem Jungen das Herz herausgerissen wird. (Wobei ich mich nicht erinnere, ob die Szene in England nicht weggeschnitten wurde, und ich nach den Sommerferien gegenüber meinen neidischen Zuhörern nur vorgab, diese Szene gesehen zu haben, die sie dann zwei Monate später jedenfalls in deutschen Kinos bestaunen konnten. Jetzt fällt mir aber ein, dass der Jüngere der Brüder der Host-Family mir dauernd wegen "Star Wars" im Ohr lag, und behauptete, dass er "Das Imperium schlägt zurück" 72 Mal gesehen hätte. Es war jedenfalls eine exakte Zahl.)

Natürlich war ich einer der Jüngsten in der Sprachschule und wurde der dementsprechenden Klasse mit vier oder fünf Schülern zugeteilt. Dort konnte ich immerhin auftrumpfen, als der Lehrer die Frage stellte, welche Popsongs wir so schätzten, während andere lahme Christenbands wie Barclay James Harvest zu ihren Lieblingen kürten. Und zum ersten Mal erfuhr ich, wie das ist, wenn sich ein Mädchen für einen interessiert. Ich hatte die Phase, in der Jungen prinzipiell nichts mit Mädchen zu tun haben, noch nicht hinter mir, und dann setzt dieses hübsche Wesen sich weg von ihrer Freundin, zu mir. Natürlich habe ich mir keine Blöße gegeben -harhar-, und da sie kaum älter war als ich, nicht viel unschüchterner als ich, blieb es in den folgenden Wochen bei kleinen Zuneigungsbeweisen. Was will uns diese undramatische Geschichte sagen? Hoffentlich nichts Wehmütiges, aber die Fassaden waren doch heil, die Welt wirkt in der Erinnerung dann manchmal schon perfekt. Zugleich die Feststellung, dass mein Sohn, mit seinen demnächst 22 Monaten, dem 13-Jährigen altersmäßig schon näher ist als ich es bin, und einmal geschrieben, der Eintrag doch verflucht nach idealisierter Jugenderinnerung klingt.